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Das barocke Rom als «Gran Teatro del Mondo»

Karfreitagskonzert 2023
Annachiara Seitlinger
Raffaele Pe

Veröffentlicht: 09/03/2023

Spuren herausragender Künstlerpersönlichkeiten des italienischen Barocks folgt in Grafenegg am 7. April das diesjährige Karfreitagskonzert. Der italienische Countertenor Raffaele Pe und das Originalklang-Ensemble La Lira di Orfeo geben vokale Meisterwerke von Alessandro Scarlatti sowie Instrumentalmusik von Arcangelo Corelli und Giuseppe Valentini zum Besten. Lesen Sie mehr über die prachtvolle Kulturszene Roms zu Lebzeiten der Komponisten.

Barocker Glanz und musikalische Kontemplation in den geistlichen Zentren der «ewigen Stadt»

Vorhang auf für eine «rappresentazione» sondergleichen – die lustvolle Prachtentfaltung in jenen auserwählten «Palazzi» Roms, die keinen Vergleich zu scheuen hatten, schon gar nicht jenen mit dem Prunk herkömmlicher Adelspaläste. Denn ausgerechnet der Kirchenstaat erlebte im Barock eine glanzvolle Blüte als Zentrum von Kunst und Kultur und wurde zur Heimat zahlreicher Künstler:innen, Musiker:innen und Komponist:innen, die aus ganz Europa in die «ewige Stadt» gerufen wurden. 

Architektur, bildende Kunst und nicht zuletzt die Musik leisteten einen herausragenden Beitrag, wenn es darum ging, die politische Macht des Papsttums zu repräsentieren und pompös in Szene zu setzen. Ende des 17. Jahrhunderts waren es neben Italienern wie Alessandro Scarlatti, Arcangelo Corelli und Giuseppe Valentini – den Komponisten des diesjährigen Karfreitagskonzerts – auch der junge Georg Friedrich Händel oder Georg Muffat, die in Rom in eine künstlerisch geradezu explosive Atmosphäre eintauchten.

Musikalische Akademien im Palazzo von Kardinal Pietro Ottoboni

Zu einem der bedeutendsten Protagonisten dieses großen barocken Welttheaters avancierte ein junger Adeliger, der wohl nicht von ungefähr in die Zentren der kirchlichen und kulturellen Macht gelangte: 1689 wurde der erst 22-jährige Pietro Ottoboni von Papst Alexander VIII, seinem Großonkel, zum Leiter der Päpstlichen Kanzlei ernannt. Eine Funktion, die Ottoboni schnell für sich und seine kulturellen Vorlieben zu nutzen wusste. So gründete der junge Kardinal eine Akademie, die sich den schönen Künsten widmete und deren Ruf bald weit über die Grenzen des Landes reichen sollte. Jeden Montag lud Ottoboni in seine Residenz, den prunkvollen Palazzo della Cancelleria. «In den Pausen», schreibt der deutsche Musikgelehrte Tobias C. Weißmann, «flanierten die illustren Gäste durch die Gemächer, betrieben Konversation und erfreuten sich an Köstlichkeiten wie Piniensorbet, Schokolade oder Früchten […]». Ein Besuch von Ottobonis Akademie war «ein Muss für jeden Rom-Reisenden von Rang. Hier trafen sich Gelehrte, Künstler, Diplomaten, Kirchen- und weltliche Fürsten, kurz: die römische und internationale Elite.» 

Als im Jahr 1698 Papst Innozenz XII per Dekret ein Verbot für sämtliche Theater- und Opernaufführungen in Rom erließ, reagierte die geistliche Musikszene mit überaus kreativen Umgehungsversuchen. Einerseits ermöglichten Oratorienkompositionen musiktheatralische Glanzlichter im Stile der Oper, allerdings konzertant und mit geistlichen Stoffen. Andererseits kam es zur Verlegung des Musiklebens in die privaten Kreise der römischen Aristokratie, so auch der römischen Kardinäle, die trotz des Verbots nicht auf ihren Musikgenuss verzichten wollten. Die von ihnen unterhaltenen cappelle (Hofkapellen) und regelmäßig veranstalteten accademie (Konzerte) wurden zu den wichtigsten Trägern nicht nur der geistlichen, sondern auch der weltlichen und instrumentalen Musik. 

Um die Wende zum 18. Jahrhundert traten als musikalische Mäzene vor allem die Kardinäle Pietro Ottoboni und Benedetto Pamphilj hervor. Beide waren selbst Musiker und Librettisten, etwa für Scarlatti und Händel. Auch die ehemalige Königin Christina von Schweden engagierte sich als Protektorin zahlreicher Künstler. Die passionierte Musikliebhaberin lebte nach ihrer Abdankung im Exil in Rom, wo sie bis zu ihrem Tode als wichtigste Förderin des römischen Musiklebens galt.

Palazzo della Cancelleria
Palazzo della Cancelleria © Giuseppe Vasi

Scarlatti, Corelli und Valentini: Meisterwerke für Roms barocke Musikszene

Als sich Scarlatti und Corelli kennenlernten, standen beide – als maestro di cappella (Hofkapellmeister) bzw. als musico da camera (Kammermusiker) – im Dienste der Königin. Arcangelo Corelli, der aufgrund seiner Studienzeit in Bologna «Il Bolognese» genannt wurde, war nach Reisen quer durch Europa um 1675 in die römische Stadt gekommen, wo er sich bald als Geiger, Komponist und Orchesterleiter einen Namen machte. Sein Opus 1, eine Sammlung von 12 Triosonaten, widmete er seiner Förderin Christina von Schweden.
Bereits drei Jahre davor, 1672, hatte Alessandro Scarlatti die römische Musikszene betreten. Er gilt bis heute hinsichtlich Umfang und Qualität seiner Produktion als einer der eindrucksvollsten Komponisten des Barock. Mit über 700 weltlichen Kantaten ist er der wohl schöpferischste Vertreter dieser Gattung der Vokalmusik. Obwohl er hauptsächlich als Opernkomponist im Dienst des spanischen Vizekönigs von Neapel stand, pflegte Scarlatti stets seine Kontakte zu Roms Aristokratie. Für deren wichtigste Vertreter:innen komponierte er eine Vielzahl geistlicher Werke, darunter etwa 100 Motetten mit italienischen und lateinischen Texten, die sich stark an den Stil der weltlichen Kantate anlehnen. 

Bemerkenswert ist Scarlattis Fähigkeit, in seinen Kantaten die Affekte und die Dramatik der Texte in und durch Musik auszudrücken, wie es sonst nur in der Oper üblich war.
Ebenso wie Corelli stand Scarlatti Ende des 18. Jahrhunderts zunächst im Dienst von Benedetto Pamphilj, dann von Pietro Ottoboni. Spätestens hier begegneten die beiden Giuseppe Valentini, denn der junge Geiger trat in diesen Jahren regelmäßig in den Palästen der Kardinäle auf. Giuseppe Valentini kam vermutlich als 11-Jähriger von seiner Heimatstadt Florenz nach Rom und galt schon damals als herausragender Violinvirtuose. Diese Ausstrahlung vermittelte er auch durch sein zerzaustes Auftreten; er kultivierte sich wohl mit einigem Kalkül als – wie man später sagen würde – «Bohemien», sodass seine Zeitgenossen ihm den Spitznamen «Straccioncino», Zerlumpter, gaben. Valentini begann als Tutti-Geiger im Orchester, auch an der Seite Corellis, stieg aber bald zum in geistlichen Kreisen gefragten Solisten und Kapellmeister auf.

Karfreitagskonzert in Grafenegg: kontemplativ und hochdramatisch

Das diesjährige Karfreitagskonzert folgt den Spuren jener drei herausragenden Künstlerpersönlichkeiten. Corellis meisterhafte Triosonate aus seinem Christina von Schweden gewidmeten Opus 1 trifft auf die Triosonate Opus 5, Nr.7 von Valentini – ihr Titel «La Corelli» kann als Hommage an das große Vorbild des jungen Florentiner Meisters gelten. Mit ihrem verschwenderischen Reichtum an musikalischen Ideen umrahmen diese beiden Instrumentalwerke die im Zentrum des Konzerts stehenden Vokalwerke von Alessandro Scarlatti. Diese zeichnen sich durch eine bilderreiche und glühende Sprache aus, die ein Höchstmaß an dramatischem Ausdruck und kontemplativer Transzendenz abverlangt. Zugleich zeigt sich eine klare Vorliebe zum konzertanten Stil, den Corelli bereits mit seinen Concerti grossi vorgegeben hat. 

Doch auch außerhalb der Musik kreuzten sich die Wege von Scarlatti, Corelli und Valentini; die drei Komponisten verbindet eine bedeutende Anerkennung, die ihre Relevanz als Künstler in der römischen Gesellschaft unterstreicht: Im April 1706 wurden Scarlatti und Corelli gemeinsam mit Bernardo Pasquini auf Vorschlag Ottobonis als erste Musiker in die Accademia dell’Arcadia aufgenommen. Diese bis heute bedeutende Institution wurde 1690 nach dem Tod Christinas von Schweden aus deren Dichterzirkel heraus gegründet. Valentinis Aufnahme erfolgte einige Zeit später zu einem nicht bekannten Zeitpunkt. 

Während Corelli als «maestro famosissimo» der Komposition und der Geige in die Accademia dell’Arcadia aufgenommen wurde, priesen die Mitglieder der Accademia Scarlatti und Valentini auch für ihre Verdienste um die Dichtkunst. Von ihnen sind eine Reihe von Sonetten überliefert, darunter je ein Corelli gewidmetes, der darin einmal mehr als großer Musiker und Komponist gewürdigt wird: Valentini ehrt ihn in Anspielung auf seinen Namen sogar als «Arcangelo […] del nostro Mondo» – Erzengel unserer (musikalischen) Welt. Damit schließt sich ein Kreis, der Scarlatti, Corelli und Valentini als tragende Säulen der römischen Barockmusik würdigt, die noch 300 Jahre später ihr Publikum zu begeistern wissen.

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