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Akustik in Grafenegg

Musik trifft Physik
Empty concerthall of the Auditorium.

Veröffentlicht: 02/09/2021

Beim Klang am Wolkenturm wird nichts dem Zufall überlassen. Physikalische Phänomene aus dem Gebiet der Raumakustik verhelfen dem Publikum zum perfekten Hörgenuss. Wie die Open-Air-Bühne Wissen aus der Antike mit modernster Technik vereint, lesen Sie hier.

Der Wolkenturm ist ein modernes Bauwerk – doch die berühmte Open-Air-Bühne bedient sich insbesondere bei der Akustik altbewährter Tricks aus der Antike. Vereint mit modernster Technik entsteht dadurch der perfekte Klang.

Der Wolkenturm kann vieles sein. Für die einen ist er Bühne, für andere wiederum Kunstwerk oder Fotokulisse. Wenn Ernst Süss auf den Wolkenturm blickt, denkt er an eine Ohrmuschel. «Dieses Prinzip wird hier am Wolkenturm genutzt – bloß fängt diese Muschel den Schall nicht ein, sondern transportiert ihn gezielt nach außen.» Süss leitet in Grafenegg das Technik-Team. Obwohl er, wie alle anderen auch, den Schall am Wolkenturm nicht sehen kann, weiß er genau, was dieser tut und wohin er sich bewegt. «Das menschliche Ohr ist der optimale Schalleinfänger», sagt Ernst Süss. 

Durch diese Bauweise des Wolkenturms trifft der Schall gebündelt auf die Tribüne, deren Sitzplätze wie in einem Amphitheater angeordnet sind. «Durch dieses Prinzip allein haben wir eine Direktschallausbeute von 80 bis 85 Prozent. Das ist ein sehr guter Wert», sagt Ernst Süss. 

Doch was ist Direktschall? «Wenn man sich die Schallwellen eines Instruments oder der menschlichen Stimme wie Linien in der Luft vorstellt, dann sind alle Linien, die bei den Zuhörern ankommen, Direktschall», erklärt der technische Leiter. Die restlichen Schallwellen verflüchtigen sich in der Luft. Ab einer Entfernung von 35 bis 40 Metern kommt es zu einem Pegelabfall. Man hört die Klänge nicht mehr so gut, da die Luft die Schallwellen nicht so weit trägt.

Eine naturakustische Bühne

Dieser Pegelabfall ist für Freiluftbühnen wie den Wolkenturm eine Herausforderung, die bewältigt werden muss – allerdings nicht die einzige. Eine weitere Besonderheit bei Open-Air-Konzerten ist der sogenannte Störpegel und der daraus berechnete Nutzpegel. Während in einem Konzertsaal alles isoliert ist und von außen praktisch kein Ton eindringt, kommen in der Natur einige Einflüsse von außen hinzu. 

Abgesehen von der Musik hört man im Hintergrund beispielsweise Vögel aus dem Schlosspark. «Und das trübt sozusagen den Klang der Musik ein bisschen. Wir haben den Direktschall, und von diesem ziehen wir den Störpegel ab. Dann bleibt eine Differenz übrig, und das ist für uns der Nutzpegel. Das ist das bereinigte Geräusch – im Falle des Wolkenturms also die Musik.», erklärt Ernst Süss.

Am Wolkenturm sind die Sitzplätze wie in einem antiken Amphitheater angeordnet – das sorgt für gute Naturakustik.

Crowded stand at the Wolkenturm.
Wolkenturm © Lisa Edi

Schall & Wellen

Durch die einer Ohrmuschel ähnlichen Bauweise und die Platzanordnung nach dem Schema eines antiken Amphitheaters, ist der Klang am Wolkenturm also schon ein sehr guter. Doch sehr gut ist eben nicht perfekt. Um wirklich allen Konzertgästen einen optimalen Hörgenuss bieten zu können – also auch jenen in den hinteren Reihen, wo der Nutzpegel naturgemäß abfällt –, hat der renommierte Akustiker Karlheinz Müller am Wolkenturm nichts dem Zufall überlassen. Und hier kommt die moderne Technik ins Spiel: An jenen Stellen, die aufgrund physikalischer Gegebenheiten nicht optimal beschallt werden, erhält der natürliche Klang feine, ausgeklügelte Unterstützung. 

«Mithilfe moderner Anlagen können wir kleine Lücken füllen», sagt Ernst Süss. Dabei sei das Timing, wann der Direktschall und wann die Unterstützung in das menschliche Ohr gelangen, besonders wichtig – der Direktschall muss immer zuerst zu hören sein. Somit sind wir wieder im Bereich der Physik. Es gibt ein Phänomen in der Raumakustik, den Haas-Effekt, auch erste Wellenfront genannt. Da geht es darum, dass wir Menschen, wenn wir ein Geräusch wahrnehmen, die erste Geräuschquelle für die Ortung nützen. Menschen hören also, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Auch hier gilt, dass man zuerst den Musiker oder die Musikerin selbst hört und dann erst im Nachhinein die Unterstützung aus dem Lautsprecher folgt. «Wir leben also vom Direktschall und nicht von verstärktem Schall. Dadurch hört man immer das, was man sieht», erklärt Süss weiter.

Musician at the Wolkenturm
Musician on stage at the Wolkenturm © Lisa Edi

Doch diese Ortung von Geräuschen funktioniert nicht nur in der Tiefe, sondern auch auf einem Links-Rechts-Spektrum. Wenn man einen Sitzplatz hinten links hat und ein Instrument erklingt vorne rechts, dann darf die Lautsprecherunterstützung auch hier erst nach dem Direktschall erfolgen. Damit diese Abfolge garantiert wird, ist die Bühne in Zonen aufgeteilt. Während des Konzerts kann für jede Zone in Echtzeit berechnet werden, wie schnell der Direktschall beim Publikum ankommt und wie schnell dann jeweils die Unterstützung ausgespielt wird.

On Stage

So viel also zur Akustik im Publikum. Doch wie ist es für die Musikeri:nnen Open Air am Wolkenturm zu musizieren? Durch die offene Bühne fehlen den Musizierenden teilweise Reflexionsflächen. In einem Konzertsaal hat man vier Wände und ein Dach, die vierte Wand ist bei einer Open Air Bühne allerdings nicht vorhanden. Solange man direkt in der Muschel des Wolkenturms sitzt, stellt dies kein Problem dar. Sänger:innen und Solist:innen sind jedoch meist vorne an der Bühnenkante platziert und hier würde eigentlich die nötige Reflexion des Klangs fehlen, da das Dach vorne endet und die vierte Wand nicht vorhanden ist. 

Doch am Wolkenturm wurde auch in diesem Punkt vorgesorgt. Damit Künstler:innen sich selbst und gegenseitig perfekt hören können, ist auch hier die moderne Technik der Raumakustik ein Stück weit behilflich, erklärt der technische Leiter Ernst Süss: «Oben an der Bühnenkante befinden sich kleine Lautsprecher, die ein dezentes verhalltes Signal ausspielen. So können sich die Künstler:innen auch an der Bühnenkante gut hören. Sie bekommen ein Gefühl, wie im Konzertsaal.»

Schiefe Wände

Bei Schlechtwetter wird während des Festivals im Auditorium gespielt und auch die Jahreszeitenklänge-Saison findet Indoor statt. Wie auch am Wolkenturm zeichnet sich hier der Münchner Akustiker Karlheinz Müller verantwortlich für den einmaligen Klang des Konzertsaals. Durch seine Überlegungen und ein paar architektonische Besonderheiten gibt es im Auditorium eine hundertprozentige Direktschallausbeute. Eine technische Unterstützung oder Lückenfüller wie am Wolkenturm sind nicht nötig.

Publikum im Auditorium
Publikum im Auditorium © Manfred Klimek

Dies liegt unter anderem an den schiefen Wänden – keine Sorge, man fühlt sich nicht wie im schiefen Turm von Pisa. Es sind lediglich zwei bis drei Grad, die von einem rechten Winkel abweichen, es ist also kaum bemerkbar. Auf diese Weise verteilt sich der Ton möglichst diffus. Reflexionen von Schallwellen können sich durch die leichte Neigung nicht überlagern und gegenseitig verstärken. 

Wenn dies nämlich der Fall wäre, hätte man einen Sound wie im Badezimmer. Wer schon einmal unter der Dusche gesungen hat, weiß, dass der Klang der Stimme unglaublich laut werden kann und stark hallt. Im Auditorium wird genau dieser Effekt vermieden. Doch von der Akustik in Grafenegg macht man sich am besten selbst ein Bild (oder doch eher Ton?) – und zwar bei einem Konzert am Wolkenturm oder im Auditorium. Am 25. September startet mit dem Konzert «Symphonie Fantastique» wieder die Jahreszeitenklänge-Saison im Auditorium.

Orchestra on stage at the Auditorium
Orchestra at the Auditorium © Lisa Edi
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